Das Thema der Demokratisierung der Simulation findet sich seit einigen Jahren in der Literatur sowie auf Konferenzen und Websites. Hierbei handelt es sich um eine Weiterentwicklung der konstruktions-integrierten Simulation, welche es bereits seit den 1980er Jahren gibt. Die Konstrukteure sollen in der Lage sein, selbstständig nicht lineare, multi-physikalische Simulationen durchzuführen, zu bewerten und die Ergebnisse konstruktiv umzusetzen. Hierbei werden zwei sehr unterschiedliche Ansätze verfolgt. Der eine Ansatz, auf Definitionen der NAFEMS zurückzuführen, bevorzugt geführte Prozesse, der andere Ansatz strebt eine stärkere Selbstständigkeit des Konstrukteurs an. In diesem Beitrag, ein Extended Abstrakt vom K-TAG [13], werden beide Ansätze vorgestellt.
In diesem Beitrag wird vorausgesetzt, daß die Simulation (z.B. der Mechanik, der Fluiddynamik, des Elektro-Magnetismus) ein wesentlicher und nützlicher Bestandteil des Produktentwicklungsprozesses ist.
Zur Demokratisierung der Simulation finden sich in der Literatur viele verschiedene Begriffe, wie z.B.:
- Demokratisierung
- Konstruktions-integrierte Simulation
- Simulation-Driven Design
- CAD-integrierte Werkzeuge
- template-based customizations/apps
- designer-driven analysis
- Simulation-Based Design
- simulation-driven product development.
Gemeint ist damit fast immer die Durchführung von Simulationen direkt durch den Konstrukteur. Eine konstruktions-integrierte Simulation gibt es bereits seit den 1980er Jahren. Werkzeuge wie CATIA oder SolidWorks haben schon seit vielen Jahren eine Simulation integriert, siehe auch [1] und [2]. Innerhalb von SolidWorks greift man ebenso auf eine recht leistungsfähige Fluid-Simulation zurück. Bei diesen Lösungen wurden oft Beschränkungen verwendet, wie z.B.
- Vereinfachte Bauteil-Verbindungen
- Lineares Materialverhalten
- Beschränkung auf kleine Bewegungen und Verformungen
- Reduzierte Steuerung der Simulation.
Diese Beschränkungen erforderten in vielen Fällen eine differenzierte Betrachtung durch einen Berechnungs-Ingenieur. Die Zusammenarbeit verschiedener Abteilungen für die Konstruktion und die Simulation wird in der Literatur heute oft negativ beschrieben.
Nach [3] ist es wichtig, daß der „schöpferische und kreative“ Konstruktionsprozeß nicht unterbrochen wird. Dies geschah in der Vergangenheit durch das Warten auf Versuche oder das Warten auf die Simulation. In [4] wird die Simulations-Abteilung als ‚bottleneck‘ im Entwicklungsprozeß bezeichnet. In [5] führt der sequentielle Arbeitsablauf von Konstruktion-Simulation-Konstruktion zu ineffektiven Entwicklungsprozessen.
Der Begriff des Arbeitens in Silos findet sich häufig. In einem internen Dokument der Dassault Systemes wird dieses Arbeiten in Silos bildlich (Quelle: Internes Dokument der Dassault Systèmes) dargestellt:
In den letzten Jahren gab es durch die Entwicklung der Software Systeme für die Simulation eine deutliche Verbesserung der Werkzeuge für die Simulation. Wesentliche Punkte sind dabei:
- Verbesserte Geometrie-Aufbereitung
- Automatische Vernetzung auch “schlechter” Geometrien
- Verbessertes Konvergenz-Verhalten der impliziten Solver
- Einsatz expliziter Solver für statische Problemstellungen
- Einsatz des automatischen Kontaktes zwischen Bauteilen
- Beseitigung der Schnittstellen bei Multi-Physics Anwendungen.
In [4] werden die Vorteile der konstruktions-integrierten Simulation für die Industrie anhand von Umfrage-Ergebnissen dargelegt. Hierbei wird zwischen innovativ führenden Firmen (Best-in-Class) und dem „Rest“ (All Others) unterschieden. Betont wird das „Left Shifting“, eine frühe Verifikation und Optimierung des Produktes, links im folgenden Bild. Ein Wechsel hin zur konstruktions-integrierten Simulation wird von vielen Firmen angestrebt, mittig im folgenden Bild. Hierdurch konnten die Firmen die Kosten und die Dauer der Entwicklungsprozesse deutlich reduzieren, rechts im Bild.
So wird nach [3] der Einsatz von Simulation im Konstruktionsprozeß deswegen besonders wichtig, da der Wechsel von einer erfahrungsbasierten zu einer wissensbasierten Entscheidung in der Konstruktion erfolgen muss. In [6] werden die Vorteile einer Konstruktions-integrierten Simulation dargestellt. Die Anforderungen an die Konstruktionsprozesse sind in einer schwierigeren Umgebung stark gestiegen. Hier ist die Konstruktions-integrierte Simulation ein Problemlöser.
Zusammenfassend werden viele Gründe für eine Demokratisierung der Simulation und somit einer Integration der Simulation in die Konstruktion genannt. Viele dieser Gründe wurden bereits vor vielen Jahren für den Aufbau von Simulations-Abteilungen verwendet. So zum Beispiel:
- Schnelleres Auffinden der optimalen Konstruktion
- Hohe Innovationsleistung durch die Betrachtung viel mehr möglicher Lösungen
- Frühere Design Entscheidungen
- Reduktion von Fehlern und Unterbrechungen
- Verkürzung von Entwicklungszeiten
- Reduktion von Entwicklungskosten.
Für viele Berechnungs-Ingenieure stellt die Nafems Ltd. [7] eine für Ihre Arbeit wichtige Organisation dar. So findet sich hier in [8] folgende Definition, welche mit Hilfe einer KI etwa so übersetzt werden kann:
„Demokratisierung: Ein Lösungsansatz, der es Personen, die keine Simulationsspezialisten sind, ermöglicht, Simulationen durchzuführen und gültige Ergebnisse innerhalb bestimmter Parameterbereiche in einer verwalteten, nachvollziehbaren Umgebung zu erhalten, die von einem Simulationsingenieur aufgebaut wird, der für die erzielten Ergebnisse verantwortlich ist.”
Als Lösung der Demokratisierung wird folglich ein geführter Prozess vorgeschlagen. Dieser Prozess wird von einem Berechnungs-Ingenieur verantwortet. Nach [9] finden sich neben diesem ‚template-based customizations/apps‘-Ansatz auch neuere Ansätze, welche folgende Anforderungen erfüllen sollen:
- die Software benötigt keine Spezialkenntnisse
- Modellaufbau sowie Simulation laufen schnell ab
- Große Toleranz gegenüber ‚schlechten‘ Geometrien
- Qualität der Simulation ist gut.
Man kann also unterscheiden in
- Geführte Berechnungsprozesse
- Neuere/Automatisierte Berechnungsprozesse.
Im Folgenden wollen wir Beispiele dazu vorstellen.
In [10] wird das Produkt SimSolid von der Firma Altair beschrieben. Hier handelt es sich, zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Textes, um ein Produkt zur Simulation der linearen und nicht-linearen Statik. Als wesentliche Vorteile werden hervorgehoben:
- Keine Geometrie-Vereinfachung durch den Verwender notwendig
- Kein Meshing durch den Verwender notwendig
- Berücksichtigung von Baugruppen, Verbindungstechnik und Kontakt
- Ergebnisse in Sekunden
In [9] werden verschiedene lineare Testfälle (NAFEMS Benchmarks) mit der Software SimSolid berechnet. Hierbei gibt es nur geringe Abweichungen gegenüber den Referenzlösungen.
In [11] wird die Software ANSYS Discovery vorgestellt. Hier werden ähnliche Vorteile, wie der Entfall der Geometrie-Vereinfachung und des Meshings genannt. Ebenso können Baugruppen, Verbindungs-technik und Kontakt berücksichtigt werden. Der Solver umfasst neben der Strukturmechanik auch die Fluidmechanik, die Berechnung des Wärmetransportes sowie gekoppelte Analysen. Die Durchführung der Simulation wird als „Live“ bezeichnet.
Ein ausführliche Beschreibung der Verwendung von Ansys Discovery findet sich in [3]
Dassault Systèmes hat in den letzten Jahren sehr viel in die konstruktions-integrierte Simulation investiert. In [12] wird der MODSIM Ansatz von Dassault Systèmes beschrieben. MODSIM ist ein auf der 3DEXPERIENCE Plattform integrierter Ansatz, die Demokratisierung der Simulation im Sinne der obigen NAFEMS Definition zu realisieren. Die Vorteile innovativerer Produkte in kürzeren Entwicklungszeiten sollen so leicht zu realisieren sein.
Es handelt sich hierbei aber nicht ausschließlich um geführte Prozesse, da die zur Verfügung gestellten Werkzeuge ebenso ohne Führung verwendet werden können. Dann wird aber sehr viel mehr Aufwand betrieben werden müssen. Der große Vorteil der 3DEXPERIENCE Plattform liegt in der Integration verschiedener Disziplinen, wie CAD, CAE und CAM und der Verwendung des gleichen Modells (Model Based Engineering). In dem Rahmen dieses Beitrages beschränken wir uns auf eine kurze Erläuterung. So kann im Rahmen von MODSIM der Berechnungs-Ingenieur ein Best Practice Vorgehen im Rahmen eines Templates festgehalten werden, Bild unten links. Dieses Template wird von dem Konstrukteur für die Auslegung des Produktes verwendet, Bild unten rechts.
Grundlage für den Ablauf von solchen Templates ist der Process Composer, mit welchem auch aufeinander aufbauende Simulationen definiert werden können, Bild unten links. Ebenso werden dem Konstrukteur die Analyse der Ergebnisse erleichtert, Bild unten rechts.
Das Generative Design für die Strukturmechanik und die Fluidmechanik stellt eine Ergänzung dieser Idee dar. Hier sind die Simulationsprozesse zur bestmöglichen Nutzung eines vorgegebenen Bauraumes bereits voll in die Arbeit des Konstrukteurs integriert, folgendes Bild.
In der Literatur finden sich genügend Argumente für eine deutliche Stärkung der konstruktions-integrierten Simulation. Die Demokratisierung der Simulation führt zu besseren Produkten in kürzeren Entwicklungsprozessen.
Die Software-Hersteller stellen dafür die notwendigen Werkzeuge bereit, wobei zwischen geführten und automatisierten Berechnungsprozessen unterschieden werden kann.
Fragt man einen erfahrenen Berechnungs-Ingenieur, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß dieser ob dieser Entwicklung starke Bedenken hat.
Auf unserer Website (Elementauswahl und Diskretisierung) haben wir einen Beitrag, welcher sich mit der richtigen Wahl der Elemente für eine Simulation befasst. Als Beispiel dient die lineare Belastung eines Biegebalkens. Hier zeigt sich, daß die falsche Wahl von Element und Diskretisierung zu komplett falschen Ergebnissen führen kann. In dem folgenden Bild führt nur die Wahl eines, in der Praxis eher selten verwendeten, Elementes zum richtigen Ergebnis.
In der Literatur zu den automatisierten Berechnungsprozessen finden sich Hinweise zur Verwendung von Referenz-Speicher (Reference Memory in [9]), der Treue oder des Speichers der Grafikkarte zur Erhöhung der Qualität der Berechnung [3]. Dies erscheint doch eher schwierig, da bisher keine Literatur gefunden wurde, welche die Abhängigkeit der Physik einer Simulation von solchen Größen näher erläutert.
Beschrieben wurden die Vorteile einer Demokratisierung der Simulation. Um diese Vorteile nutzen zu können, bedarf es gemeinsamer Anstrengungen von Konstrukteuren und Berechnungs-Ingenieuren.
Sicher gilt:
- Die Simulation muss einen Mehrwert im Produkt-Entstehungs-Prozess bieten.
- Die Simulation sollte prognosefähig sein.
Zum Teil basiert der vorliegende Text und gezeigter Abbildungen auf der Recherche ausgewerteter Literatur. Ist dies der Fall, so werden die Quellen im Text durch eine Zahl, z.B. [2], gekennzeichnet und die Quelle hier aufgeführt.
Zum Teil sollen die hier aufgeführten Quellen aber auch einfach nur als Empfehlung weiterführender Literatur verstanden werden.
- “CATIATM V5 Portfolio – Dassault Systèmes® 3D Software” [Online].
- Dassault Systèmes SOLIDWORKS, 2018, AUSSAGEKRÄFTIGE SIMULATIONEN VERBESSERN DIE PRODUKTENTWICKLUNG, Dassault Systèmes.
- Brand, M., Baur, K., Brunner, S., and Gebhardt, C., 2020, Physik begreifen – besser konstruieren, Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg.
- Cline, G., 2017, THE BENEFITS OF SIMULATION-DRIVEN DESIGN, ABERDEEN GROUP.
- Karlsson, L., Pahkamaa, A., Karlberg, M., Löfstrand, M., Goldak, J., and Pavasson, J., 2011, “Mechanics of Materials and Structures: A Simulation-Driven Design Approach,” J. Mech. Mater. Struct., 6(1–4), pp. 277–301.
- Jackson, C., The Four Benefits of Simulation-Driven Design, Lifecycle Insights.
- Nafems Ltd., “NAFEMS Engineering Modelling, Analysis, Simulation Community,” NAFEMS [Online].
- “NAFEMS – Glossary Terms D-I” [Online].
- Symington, I., 2020, “Designer Oriented Software – Is It Accurtae? Part 1,” NAFEMS Benchmark Magazine, (Januar 2020).
- “Strukturanalyse Für Schnelle Designiterationen | Altair SimSolid”
- “Ansys Discovery | 3D Product Simulation Software” [Online]
- Popielas, F., 2022, “Introduction TO MODSIM.”
- Bayreuther 3D-Konstrukteurstag